Erinnerungen jederzeit abrufen

Mit dieser Methode fällt Dir immer eine gute Geschichte ein

Am letzten Wochenende habe ich auf einer Geburtstagsfeier ein paar alte Studienfreunde wiedergetroffen. In einem Irish Pub bei spätsommerlichem Septemberwetter stehen wir mit einem Kaltgetränk um einen Biertisch herum und schwelgen in Erinnerungen. Ein guter Freund merkt an, dass er es extrem schade findet, dass er sich an so viele Dinge gar nicht mehr erinnern kann. Gemeinsam rekonstruieren wir die ein oder andere lustige Begebenheit. “Eine meiner romantischsten Erinnerungen über Dich”, sage ich zu eben diesem guten Freund, “ist die Aktion, als Du Glühwürmchen in einer Zoohandlung gekauft hast und sie für Deine damalige Freundin auf dem Dach unseres Studenten-Wohnheims bei einem nächtlichen Picknick freigelassen hast.” Eine spontane Erinnerung, die mir plötzlich in den Kopf schießt, bevor wir die nächste Runde bestellen. Ich fand die Idee damals so toll und - obwohl ich selbst gar nicht beim Glühwürmchen-Leuchten anwesend war - sehr romantisch. Jedenfalls hat sich diese Idee offenbar nachhaltig bis zum heutigen Tag in meinem Gedächtnis gehalten.

Dann kommt die Ernüchterung: mein Freund kann sich an diese Aktion nicht erinnern! Dabei war er es doch, der die Idee hatte und sogar selbst die Umsetzung vorgenommen hat. Wer, wenn nicht er müsste sich an eine solch schönen Abend erinnern können? Dabei kann ihm kein Vorwurf gemacht werden. Unser Gehirn speichert Informationen eben sehr subjektiv und siebt gnadenlos und völlig eigenständig Elemente aus, die es für nicht relevant hält. Was für eine gemeine Eigenschaft von Zeit und dem subjektiven Gedächtnis!

Story of the day

Dann fällt mir ein, dass ich genau wegen solcher Situationen seit einiger Zeit und mit lückenhafter Beständigkeit eine Methode aus dem Buch „Storyworthy“von Matthew Dicks* einsetze.

Das Ziel von Dicks als Autor ist es, die kleinen Geschichten zu identifizieren, die speziellen Momente, die ohnehin in seinem Leben vorkommen, die aber so schwer in eben dem Moment zu erinnern sind, wenn er gerade eine Kurzgeschichte schreiben will.

Neben diesem Punkt, immer eine kleine Geschichte parat zu haben, hilft die Methode auch, schöne Erinnerungen für sich zu bewahren und in einen zeitlichen Kontext bringen zu können.

Dicks nennt diese Methode “Homework for Life”, da sich das für mich aber zu sehr nach Pflicht anhört, bezeichne ich diese Methode lieber als “story of the day”. Es geht darum, jeden Tag einen kleinen besonderen Moment festzuhalten. Selbst wenn sich das Gefühl aufdrängt, dass an einem Tag so gar nichts Besonderes passiert ist. Was ist die erzählenswerteste Begebenheit an diesem Tag gewesen?

Umsetzung

Anders als bei einem klassischen Tagebuch geht es nicht nur um das eigene Verarbeiten der Geschehnisse des Tages, sondern auch um die Möglichkeit, Begebenheiten schnell und unkompliziert wiederzufinden. Ich empfehle daher das elektronische Schreiben, auf welchem Medium auch immer.

Matthew Dicks benutzt eine Excel-Tabelle. Ein Freund hat eine Tagebuch-App, wo er die Möglichkeit hat, auch Fotos zum jeweiligen Tag hinzuzufügen. ich bin mir sicher, dass es einige technische Optionen gibt. Ich selbst nutze Notion, weil die einzelnen Seiten so schön frei konfigurierbar sind. Außerdem habe ich die Möglichkeit, die Struktur später noch einmal zu ändern, kann schnell und unkompliziert nach Stichworten oder Daten suchen und zusätzliche Links oder Dateien wie Fotos einfügen.

Viel wichtiger als die technische Umsetzung ist aber das tatsächliche Schreiben. Erst die Regelmäßigkeit führt dazu, dass ein großer Pool der eigenen Erinnerungen entsteht und Begebenheiten in einen zeitlichen Kontext gebracht werden können. Wer erinnert sich schon daran, was er letztes Jahr um diese Zeit oder vor einem Monat oder auch nur vor einer Woche gemacht hat? Nimm Dir jeden Tag zu einer bestimmten Zeit, zum Beispiel nach dem Abendessen oder kurz vor dem Zubettgehen, ein paar Minuten für eine kurze Reflexion über den Tag.

Ich möchte ausdrücklich dazu raten, nicht zu viel zu schreiben. Ein, zwei Sätze pro Tag genügen, dass sofort beim Durchblättern wieder Bilder in den Kopf schießen. Um diese Bilder und Emotionen zutage zu bringen solltest Du auch weniger auf die Darstellung, was an diesem Tag alles passiert ist, achten. Überlege Dir vielmehr, was Dich in welcher Situation bewegt hat. Es geht um einen kleinen speziellen Moment, den Du in Erinnerung behalten möchtest. Nimm den Ansatz von Matthew Dicks aber nicht zu ernst, es muss nicht aus jedem Tag eine Kurzgeschichte entstehen können. Aber es ist wundervoll, sich später an diese kleinen Dinge erinnern zu können.

Ganz nebenbei kann so auch ein kleines Dankbarkeitstagebuch entstehen, da Du Dir jeden Tag ein paar Gedanken zu den Geschehnissen machst und Dir überlegst, was Dich besonders bewegt hat.

So lautet übrigens mein “story of the day” Eintrag von dem Tag der Geburtstagsfeier:

“Geburtstag von S. im Irish Pub gefeiert. Mit A und M darüber sinniert, dass viele Erinnerungen mit der Zeit verblassen und verloren gehen. Glühwürmchen! Gemeinsam einige Erinnerungen zusammengeworfen zum ersten Aufeinandertreffen (Epson-Drucker), Musiksessions am See, betrunken Inlineskaten. Gemeinsam Tränen gelacht.”


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